Familien-Weihnachtsfeier am 18.12.2004 in der Ketscher
Rheinhallen-Gaststätte
Verfasser noch unbekannt
Beim Aufräumen des Dachbodens - ein paar Wochen
vor Weihnachten -entdeckte ein Familienvater in einer Ecke einen ganz
verstaubten, uralten Weihnachtsbaumständer. Es war ein besonderer Ständer mit
einem Drehmechanismus und einer eingebauten Spielwalze. Beim vorsichtigen Drehen
konnte man das Lied „O du fröhliche“ erkennen. Das musste der Christbaumständer
sein, von dem Großmutter immer erzählte, wenn die Weihnachtszeit herankam. Das
Ding sah zwar fürchterlich aus, doch da kam ihm ein wunderbarer Gedanke. Wie würde
sich Großmutter freuen, wenn sie am Heiligabend vor dem Baum säße und dieser
sich auf einmal wie in uralter Zeit zu drehen begänne und dazu „O du fröhliche“
spielte. Nicht nur Großmutter, die ganze Familie würde staunen.
Es gelang ihm, mit dem antiken Stück ungesehen in seinen Bastelraum zu
verschwinden. Gut gereinigt, eine neue Feder, dann müsste der Mechanismus
wieder funktionieren, überlegte er. Abends zog er sich jetzt geheimnisvoll in
seinen Hobbyraum zurück, verriegelte die Tür und werkelte. Auf neugierige
Fragen antwortete er immer nur „Weihnachtsüberraschung“. Kurz vor
Weihnachten hatte er es geschafft. Wie neu sah der Ständer aus, nachdem er auch
noch einen Anstrich erhalten hatte.
Jetzt aber gleich los und einen prächtigen Christbaum besorgen, dachte er.
Mindestens zwei Meter sollte der messen. Mit einem wirklich schön gewachsenen
Exemplar verschwand Vater dann in seinem Hobbyraum, wo er auch gleich einen
Probelauf startete. Es funktionierte alles bestens. Würde Großmutter Augen
machen!
Endlich war Heiligabend. „Den Baum schmücke ich alleine“, tönte Vater. So
aufgeregt war er lange nicht mehr. Echte Kerzen hatte er besorgt, alles sollte
stimmen. „Die werden Augen machen“, sagte er bei jeder Kugel, die er in den
Baum hing. Vater hatte wirklich an alles gedacht. Der Stern von Bethlehem saß
oben auf der Spitze, bunte Kugeln, Naschwerk und Wunderkerzen waren
untergebracht, Engelhaar und Lametta dekorativ aufgehängt. Die Feier konnte
beginnen.
Vater schleppte für Großmutter den großen Ohrensessel herbei. Feierlich wurde
sie geholt und zu ihrem Ehrenplatz geleitet. Die Stühle hatte er in einem
Halbkreis um den Tannenbaum gruppiert. Die Eltern setzten sich rechts und links
von Großmutter, die Kinder nahmen außen Platz. Jetzt kam Vaters großer
Auftritt. Bedächtig zündete er Kerze für Kerze an, dann noch die
Wunderkerzen. „Und jetzt kommt die große Überraschung“, verkündete er, löste
die Sperre am Ständer und nahm ganz schnell seinen Platz ein.
Langsam drehte sich der Weihnachtsbaum, hell spielte die Musikwalze „O du fröhliche“.
War das eine Freude! Die Kinder klatschten vergnügt in die Hände. Oma hatte Tränen
der Rührung in den Augen. Immer wieder sagte sie: „Wenn Großvater das noch
erleben könnte, dass ich das noch erleben darf.“ Mutter war stumm vor
Staunen.
Eine ganze Weile schaute die Familie beglückt und stumm auf den sich im
Festgewand drehenden Weihnachtsbaum, als ein schnarrendes Geräusch sie jäh aus
ihrer Versunkenheit riss. Ein Zittern durchlief den Baum, die bunten Kugeln
klirrten wie Glöckchen. Der Baum fing an, sich wie verrückt zu drehen. Die
Musikwalze hämmerte los. Es hörte sich an, als wollte „O du fröhliche“
sich selbst überholen. Mutter rief mit überschnappender Stimme: „So tu doch
etwas!“ Vater saß wie versteinert, was den Baum nicht davon abhielt, seine
Geschwindigkeit zu steigern. Er drehte sich so rasant, dass die Flammen hinter
ihren Kerzen herwehten. Großmutter bekreuzigte sich und betete. Dann murmelte
sie: „Wenn das Großvater noch erlebt hätte.“
Als Erstes löste sich der Stern von Bethlehem, sauste wie ein Komet durch das
Zimmer, klatschte gegen den Türrahmen und fiel dann auf Felix, den Dackel, der
dort ein Nickerchen hielt. Der arme Hund flitzte wie von der Tarantel gestochen
aus dem Zimmer in die Küche, wo man von ihm nur noch die Nase und ein Auge um
die Ecke schielen sah. Lametta und Engelhaar hatten sich erhoben und schwebten
wie ein Kettenkarussell am Weihnachtsbaum. Vater gab das Kommando „Alles in
Deckung!“ Ein Rauschgoldengel trudelte losgelöst durchs Zimmer, nicht
wissend, was er mit seiner plötzlichen Freiheit anfangen sollte.
Weihnachtskugeln, gefüllter Schokoladenschmuck und andere Anhängsel sausten
wie Geschosse durch das Zimmer und platzten beim Aufschlagen auseinander.
Die Kinder hatten hinter Großmutters Sessel Schutz gefunden. Vater und Mutter
lagen flach auf dem Bauch, den Kopf mit den Armen schützend. Mutter jammerte in
den Teppich hinein: „Alles umsonst, die viele Arbeit, alles umsonst!“ Vater
war das alles sehr peinlich. Oma saß immer noch auf ihrem Logenplatz, wie
erstarrt, von oben bis unten mit Engelhaar und Lametta geschmückt. Ihr kam Großvater
in den Sinn, als dieser 14-18 in den Ardennen in feindlichem Artilleriefeuer
gelegen hatte. Genau so musste es gewesen sein. Als gefüllter
Schokoladenbaumschmuck an ihrem Kopf explodierte, registrierte sie trocken
„Kirschwasser“ und murmelte: „Wenn Großvater das noch erlebt hätte!“
Zu allem jaulte die Musikwalze im Schlupfakkord „O du fröhliche“, bis mit
einem ächzenden Ton der Ständer seinen Geist aufgab.
Durch den plötzlichen Stopp neigte sich der Christbaum in Zeitlupe, fiel aufs
kalte Buffet, die letzten Nadeln von sich gebend. Totenstille! Großmutter,
geschmückt wie nach einer New Yorker Konfettiparade, erhob sich schweigend.
Kopfschüttelnd begab sie sich, eine Lamettagirlande wie eine Schleppe tragend,
auf ihr Zimmer. In der Tür stehend sagte sie: „Wie gut, dass Großvater das
nicht erlebt hat!“
Mutter, völlig aufgelöst zu Vater: „Wenn ich mir diese Bescherung ansehe,
dann ist deine große Überraschung wirklich gelungen.“ Andreas meinte: „Du,
Papi, das war echt stark! Machen wir das jetzt Weihnachten immer so?“